Lamborghini Sian Roadster
Der Lamborghini Sian Roadster ist eine physische Demonstration dessen, was passiert, wenn klassische Mechanik auf elektrische Präzision trifft.
Kein Dach, kein Filter, kein Spielraum. Die Maschine kommuniziert über Druck, Frequenz und Strömung. Wer hier Platz nimmt, erlebt keine Inszenierung, sondern einen Angriff auf die Sinne.
Der offene Aufbau macht jede Bewegung messbar. Der Fahrer spürt, wie Luftkanäle greifen, wie die Karosserie arbeitet, wie das Fahrwerk unter Spannung steht. Nichts bleibt verborgen: Die Aerodynamik ist sichtbar, hörbar und fühlbar. Das ist keine Evolution, sondern eine kontrollierte Explosion aus Technik und Disziplin.
Die Bezeichnung „Sián“ – bolognesisch für „Blitz“ – passt exakt. Das Fahrzeug reagiert in Millisekunden, liefert Schub ohne Verzögerung, zieht Energie aus einem elektrischen System, das keine Trägheit kennt. Jede Drehung des Gaspedals bedeutet Umsetzung. Der Roadster lebt von Energiefluss, nicht von Symbolik.
Lamborghini nutzt den Sian Roadster als Übergang in eine neue Ära: Der letzte V12 seiner Art, unterstützt von einem elektrischen Kondensator, der Strom so unmittelbar liefert, dass selbst Batterietechnik alt aussieht. Das Ergebnis ist ein Fahrzeug, das sich anfühlt wie Muskelgewebe aus Carbon und Strom.
Karosserie und Struktur – Schärfe als Prinzip
4.980 Millimeter Länge, 2.080 Millimeter Breite und nur 1.133 Millimeter Höhe machen den Sian Roadster zu einer flachen Projektionsfläche für Wind und Licht. Jeder Zentimeter dieser Karosserie wurde gebaut, um Widerstand in Vortrieb zu verwandeln. Kein Bauteil bleibt dekorativ – jedes Teil hat Funktion. Das Trockengewicht von 1.595 Kilogramm dokumentiert die Konsequenz des Leichtbaus.
Die Basis bildet ein Carbon-Monocoque, verbunden mit Aluminiumrahmen für Vorder- und Hinterachse. Steifigkeit und Crashsicherheit stehen auf einem Niveau, das sonst nur in GT-Rennwagen vorkommt. Der Kraftfluss läuft in klaren Ebenen, Schweißpunkte wurden minimiert, um Masse zu sparen. Jede Komponente folgt der Strukturlogik.
Kohlefaser in verschiedenen Webrichtungen, Titanverschraubungen und 3D-gedruckte Bauteile reduzieren Gewicht und erhöhen Präzision. Der Unterboden ist vollständig verkleidet, um Luft sauber unter dem Fahrzeug zu führen. Diffusor, Spoiler und Flaps sind nicht Show, sondern Bausteine eines thermischen Systems, das Kühlung, Anpressdruck und Stabilität gleichzeitig erzeugt.
Das Heck mit den sechseckigen LED-Leuchten erinnert an den Countach, doch aerodynamisch ist es ein anderes Kapitel. Die Öffnungen leiten warme Luft aus Motorraum und Bremszonen. Der Abtrieb steigt proportional zur Geschwindigkeit, während der Auftrieb an der Vorderachse nahezu null bleibt. Das Ergebnis ist Balance ohne Nachjustierung – pure mechanische Ruhe bei über 300 km/h.
Aerodynamik und Kühlung – Bewegung unter Kontrolle
Der Luftstrom durch den Sian Roadster ist präzise getaktet. Über dem Fahrzeug verlaufen definierte Strömungskorridore, die Kühlluft einleiten und Druckzonen steuern. Vorderseitige Lufteinlässe versorgen Radiatoren und Bremsen, während die Luft an der Haube über den Mittelsteg abfließt und verwirbelungsfrei zum Heck geleitet wird.
Anstelle einer Windschutzscheibe übernehmen transparente Deflektoren die Führung. Der Fahrer sitzt im Stromkanal, aber geschützt vor Verwirbelungen. Der Kopfbereich bleibt ruhig, während die Schultern den Druck spüren. So entsteht ein aerodynamischer Effekt, der Offenheit und Stabilität gleichzeitig ermöglicht – eine seltene Kombination bei Roadstern dieser Leistungsklasse.
Lamborghini nutzt eine adaptive Aerodynamik mit thermischer Steuerung. Kleine Klappen öffnen sich automatisch, wenn Kühlflüssigkeit oder Bremsluft eine definierte Temperatur erreicht. Dadurch bleibt der Luftstrom konstant effizient. Die Aerodynamik arbeitet also nicht nur gegen den Luftwiderstand, sondern aktiv mit der Motorkühlung zusammen. Das System reagiert, bevor der Fahrer es bemerkt.
Die Integration dieser Komponenten sorgt dafür, dass der Sian Roadster auch bei Volllast stabil bleibt. Kein Flattern, kein Druckabfall. Bei 350 km/h wirkt die Luft wie ein zusätzlicher Stabilisator. Das Fahrzeug schneidet nicht einfach den Wind – es kontrolliert ihn.
V12-Herz mit elektrischem Puls
Im Zentrum arbeitet ein 6,5-Liter-Zwölfzylinder mit 785 PS, der seine Leistung ohne Aufladung erzeugt. Der Motor sitzt längs hinter dem Cockpit, saugt frei, dreht leichtfüßig bis über 8.500 U/min und liefert das typische Lamborghini-Frequenzband – kein künstlicher Klang, nur reine Verbrennung. Das gesamte Aggregat wiegt unter 200 Kilogramm, ein Kunststück aus Metallurgie und Ingenieurhandwerk.
Unterstützt wird der V12 von einem 48-Volt-Elektromotor mit 34 PS, der direkt in das Getriebe integriert ist. Er dient nicht zur Reichweite, sondern zur Reaktionsschärfung. Er füllt jedes Drehmomentloch, gleicht Drehzahlunterschiede beim Schalten aus und entlastet das Triebwerk beim Anfahren. Das Ergebnis ist eine Leistungskurve ohne Kante – linear, konstant, unter Spannung.
Die Energie für diesen Elektromotor stammt nicht aus einem Akku, sondern aus einem Superkondensator. Dieses System speichert Energie nicht chemisch, sondern elektrostatisch. Der Vorteil: extreme Leistungsdichte bei minimalem Gewicht. Der Kondensator lädt und entlädt in Sekunden, ohne thermische Alterung. Das Gewicht liegt rund 30 Prozent unter dem einer vergleichbaren Lithium-Einheit.
Diese Technik erlaubt spontane Energieabgabe. Beim Schalten, Bremsen oder Beschleunigen reagiert das System sofort. Keine Latenz, kein Memory-Effekt, kein Leistungsverlust. Der Sian Roadster nutzt Strom wie Druckluft – impulsiv, gezielt, kontrolliert. Die Systemleistung von 819 PS überträgt sich über alle vier Räder mit der Direktheit eines Rennfahrzeugs.
ISR-Getriebe und Allrad – Kraft ohne Pause
Das automatisierte ISR-Getriebe (Independent Shifting Rods) schaltet in 50 Millisekunden. Jeder Gangwechsel ist hörbar, spürbar und definiert. Das System feuert die Übersetzung wie eine Waffe – präzise, ohne Zeitverlust. Der Elektromotor gleicht den Moment des Drehmomentabrisses aus, sodass kein Zugkraftloch entsteht. Der Fahrer erlebt eine ununterbrochene Beschleunigungslinie.
Sieben Gänge, manuell über Paddles oder automatisch über Steuerlogik – das Schaltgefühl bleibt mechanisch. Metall trifft auf Metall, kein Dämpfer, kein Filter. Diese Härte gehört zum Konzept: Reibung, Druck und Präzision als konstante Größen. Der V12 und das ISR-System sprechen dieselbe Sprache – direkt, roh und verlässlich.
Der Allradantrieb verteilt das Drehmoment bedarfsgerecht. Sensoren messen Längs- und Querbeschleunigung, Lenkwinkel und Reibwert. In Millisekunden wird das Verhältnis zwischen Vorder- und Hinterachse angepasst. Die Balance bleibt neutral, auch wenn der Fahrer das Gaspedal voll öffnet. Kein Schlupf, keine Verzögerung, keine Übersteuerung ohne Absicht.
Das Zusammenspiel zwischen Antrieb, Kondensator und Allrad ergibt Traktion, die sich eher anfühlt wie eine mechanische Bindung als wie eine Regelung. Der Sian Roadster zieht sich selbst in Bewegung, egal auf welchem Untergrund. Das ist Kraft in Reinform – nicht spektakulär, sondern funktional perfektioniert.
Fahrwerk, Dämpfung und Dynamik
Die Push-Rod-Aufhängung mit adaptiven Dämpfern stammt direkt aus dem Rennsport. Querlenker aus geschmiedetem Aluminium minimieren ungefederte Masse, während Carbonstreben die Torsionssteifigkeit erhöhen. Jeder Millimeter Federweg ist berechnet, nicht geschätzt. Das System arbeitet nicht komfortorientiert, sondern leistungslogisch.
Dämpfer und Sensorik kommunizieren permanent. Sie analysieren Vertikalbewegungen, Radlast und Querbeschleunigung, bevor sie reagieren. Das bedeutet: kein Wanken, kein Nicken, keine Trägheit. Die Karosserie bleibt plan, auch bei härtesten Bremsungen. Die Präzision der Bewegung ersetzt das Gefühl von Komfort – der Fahrer erlebt Kontrolle statt Bequemlichkeit.
Die Lenkung arbeitet elektromechanisch, bleibt aber hart im Feedback. Jede Unebenheit, jeder Reibwertwechsel wird spürbar. Das System gibt kein synthetisches Feedback, sondern echtes Materialverhalten. Auf der Rennstrecke zeigt sich die Stärke dieser Konstruktion: Der Roadster reagiert exakt, ohne Nachfedern, ohne Restbewegung.
Der Reifenaufbau folgt dieser Logik. Hochfeste Flanken, breite Aufstandsfläche, asymmetrisches Profil. Der Grip bleibt auch bei 1,2 g Querbeschleunigung stabil. Bremsdruck, Reibwert und Haftung stehen in direkter Korrelation. Wer lenkt, spürt physikalische Wahrheit – kein simuliertes Gefühl.
Bremsen, Energie und Balance
Vier Karbon-Keramik-Scheiben mit Sechskolbensätteln vorn und Vierkolben hinten übernehmen die Verzögerung. Das Pedal reagiert auf jeden Millimeter Druck. Der Weg ist kurz, die Rückmeldung hart. Kein Fading, keine Schwammigkeit – nur pure Reibung zwischen Keramik und Belag. Das System arbeitet trocken, definiert und reproduzierbar.
Der Superkondensator unterstützt das Rekuperationssystem beim Bremsen. Ein Teil der kinetischen Energie wird sofort zurückgespeist. Dadurch steht elektrische Leistung direkt nach dem Bremsvorgang wieder zur Verfügung. Der Kreislauf ist geschlossen, effizient und nahezu verlustfrei. Energieverschwendung existiert hier nicht.
Die Balance zwischen Vorder- und Hinterachse bleibt neutral. Selbst bei maximalem Druck bleibt das Fahrzeug stabil. Kein Eintauchen, kein Aufstellen. Die Bremsmomente verteilen sich präzise, sodass das Lenkmoment erhalten bleibt. Wer spät bremst, verliert keine Linie – der Sian bleibt lenkbar bis zum Scheitelpunkt.
Die Kombination aus mechanischer Präzision und elektrischer Rückgewinnung zeigt, wie weit Lamborghini den Grenzbereich verschiebt. Der Fahrer erlebt nicht nur Verzögerung, sondern auch Energietransfer. Physik wird hier sichtbar – in Hitze, Klang und Stromfluss.
Cockpit: Maschine im Maßanzug
Im Innenraum dominiert Funktion. Sichtcarbon, gebürstetes Aluminium, Alcantara in definierter Körnung. Kein Zierchrom, kein überflüssiges Display. Das Cockpit ist auf den Fahrer zugeschnitten – ergonomisch eng, visuell klar. Jedes Bedienelement sitzt, wo es hingehört. Der Startknopf unter roter Klappe markiert den Übergang von Stillstand zu Systemspannung.
Das digitale Cockpit zeigt Energiefluss, Boost-Status, Reifentemperaturen, G-Kräfte und Schaltzeit. Die Darstellung bleibt reduziert, kontraststark und logisch. Keine Animationen, keine Ablenkung. Wer hier sitzt, liest Telemetrie in Echtzeit – das Interface ist Werkzeug, kein Schmuckstück.
Die Sitze bestehen aus Kohlefaser mit Alcantara-Bezug. Straff, tief, mit starker Seitenführung. Lenkrad und Sitzverstellung arbeiten elektrisch auf den Millimeter genau. Selbst die Lüftungsdüsen sind 3D-gedruckt und individualisierbar – mit Initialen, Logos oder spezifischem Raster. Lamborghini gibt dem Fahrer buchstäblich seine eigene Geometrie.
Konnektivität ist vorhanden, aber zweitrangig. Apple CarPlay, Bluetooth, USB – alles eingebettet, nichts dominant. Die Priorität liegt auf mechanischer Interaktion. Dieses Cockpit will keine Ablenkung, sondern maximale Konzentration. Wer hier Platz nimmt, will fahren, nicht navigieren.
Exklusivität: 19 präzise Einzelstücke
Nur 19 Exemplare des Sian Roadster existieren weltweit. Jeder Wagen ist ein Einzelauftrag, individuell spezifiziert, gefertigt in Handarbeit. Lackierung, Carbon-Layout, Nähte, Embleme – jede Komponente trägt eine Signatur. Kein Modell gleicht dem anderen. Die Preise beginnen jenseits von 3,3 Millionen Euro netto – und steigen mit jeder Sonderanfertigung weiter.
Der Fertigungsprozess in Sant’Agata Bolognese gleicht einer Manufaktur mit Laborstandard. Bauteile werden einzeln gewogen, geprüft, dokumentiert. Jedes Fahrzeug erhält eine interne ID-Plakette, die Materialcharge, Temperaturdaten und Produktionszeiten archiviert. Lamborghini behandelt den Sian nicht als Produkt, sondern als Entwicklungsbeweis in Serie.
Die Nachfrage ist höher als die Stückzahl. Viele Exemplare wurden bereits vor Produktionsbeginn verkauft. Sammler sehen im Sian Roadster kein Spekulationsobjekt, sondern einen technologischen Meilenstein. Der Wertzuwachs resultiert nicht aus Seltenheit allein, sondern aus der Bedeutung für die Markengeschichte: der letzte freie V12, kombiniert mit elektrischer Intelligenz.
Diese Exklusivität hat eine Konsequenz: Der Sian Roadster ist kein Fahrzeug für den Alltag. Er ist ein Manifest, das zeigt, wie weit sich Mechanik und Elektronik verschmelzen lassen, bevor Emotion verloren geht. Nur wenige dürfen das erleben – aber jeder, der es tut, versteht, warum er gebaut wurde.
Techniktransfer – vom Experiment zur Serie
Der Sian Roadster fungiert als Testfeld für Technologien, die heute in Modellen wie dem Revuelto fortleben. Der elektrische Drehmoment-Support beim Schalten, die adaptive Aerodynamik und der konsequente Leichtbau mit 3D-gedruckten Bauteilen sind Ergebnisse aus dieser Plattform. Lamborghini hat hier den Baukasten für die Hybrid-Ära definiert.
Das Konzept des Superkondensators bleibt ein Markenzeichen. Auch wenn kommende Modelle größere Batterien nutzen, das Prinzip der direkten Energiebereitstellung bleibt relevant. Der Sian beweist, dass Elektrifizierung nicht Gewicht bedeuten muss. Leistung kann auch durch Präzision entstehen – wenn die Energie im richtigen Moment abgerufen wird.
Die Verbindung aus klassischem Saugmotor und modernster Elektrotechnik macht den Roadster zum Bindeglied zweier Welten. Er verkörpert das Ende einer Ära und den Beginn der nächsten. Lamborghini hat damit ein Fahrzeug geschaffen, das Technikgeschichte schreibt – nicht durch Zukunftsversprechen, sondern durch Funktionsbeweise.
Wer den Sian Roadster erlebt, versteht, dass er mehr ist als eine Zwischengeneration. Er ist die mechanisch präziseste Interpretation eines Übergangs – gebaut für Geschwindigkeit, nicht für Symbolik. Ein Roadster, der nicht flirtet, sondern funktioniert.